28.
Sep 2020

Dieselskandal: Keine Verjährung in Deutschland

 Im Mai dieses Jahres hat der Bundesgerichthof (BGH) Haltern von manipulierten VW-Dieselfahrzeugen mit einem Urteil zu Rechtssicherheit verholfen: Sie können ihre Fahrzeuge an den Autohersteller zurückgeben und erhalten dafür hohen Schadensersatz. VW argumentiert seitdem, dass die Rechte von betroffenen Fahrzeughaltern aus Deutschland bereits verjährt seien. Das würde bedeuten, dass die Halter von manipulierten VW-Fahrzeugen ihre Rechte im Jahr 2020 nicht mehr durchsetzen könnten. Einige Experten vermuten jedoch, dass VW rechtmäßige Entschädigungszahlungen einsparen will, indem der Konzern Verbraucher von ihrer Rechtsdurchsetzung abhält. 

Das ist die Rechtslage in Deutschland 

Der BGH hat die Abgas-Manipulationen des Wolfsburger Konzerns als eine sittenwidrige und somit illegale Handlung eingestuft. Im Fall von Betrug oder sittenwidriger Schädigung gilt in Deutschland grundsätzlich eine Verjährungsfrist von drei Jahren zum Jahresende ab Kenntnis der geschädigten Personen. VW argumentiert, dass betroffene Verbraucher spätestens 2016 vollständig über den Betrug Bescheid wussten. Damals informierte der Konzern die Halter von manipulierten VW-Dieselfahrzeugen schriftlich über diese Information. Folglich wären die Rechte von betroffenen Haltern am 1. Januar 2020 verjährt. 

 

Eingetretene Verjährungsfrist: Will VW seine Kunden erneut bewusst täuschen? 

Es ist jedoch äußerst fraglich, ob diese Argumentation von Volkswagen juristisch tragbar ist. Tatsächlich wurde die Verjährungsfrist im Dieselskandal bislang nämlich noch nicht von dem obersten deutschen Gericht – dem BGH – geklärt.  

Zahlreiche Rechtsexperten sind der Meinung, dass es für den allgemeinen Verbraucher im Jahr 2016 überhaupt nicht klar gewesen sein kann, in welcher Form das eigene Fahrzeug manipuliert wurde. Dafür hätten die betroffenen Halter nämlich von sämtlichen Umständen, die ihren Rechtsanspruch begründen, Kenntnis haben müssen. Hierzu gehört vor allem die Kenntnis über die konkret verwendete Software sowie deren Wirkweise und rechtliche Einordnung. Davon hängt schließlich die Gebrauchsfähigkeit und das damit einhergehende Stilllegungsrisiko der betroffenen Fahrzeuge ab. Auch der entstandene Vermögensschaden war im Jahr 2016 kaum absehbar. 

 

Tatsächlich ist der Dieselskandal selbst bis heute nicht vollständig aufgeklärt und die Volkswagen AG hat bis zuletzt bestritten, dass sie eine rechtlich unzulässige Abschalteinrichtung verwendet hat. Wieso sollte also ein Verbraucher als technischer und rechtlicher Laie im Jahr 2016 mehr gewusst haben, als Volkswagen heute zu wissen vorgibt? Betroffene PKW-Halter sollten ihre Rechte auch im Jahr 2020 durchsetzen. Unterstützung erhalten sie dabei von nahezu allen großen Rechtsschutzversicherern, erklärt Claus Goldenstein, Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei Goldenstein, die im Abgasskandal mehr als 22.000 Mandanten vertritt. 

 

Rechtsschutzversicherer decken Klagen gegen VW auch im Jahr 2020 

Tatsächlich gehen zahlreiche Rechtsschutzversicherer davon aus, dass die Verbraucherrechte im VW-Dieselskandal noch nicht verjährt sind, denn diese decken weiterhin die Kosten für aktuell eingereichte Klagen. Das ist insofern spannend, da einige Versicherer sich im Jahr 2016 teilweise noch weigerten, die Verfahrenskosten für Dieselskandal-Prozesse zu tragen.  

Damals entschieden die deutschen Gerichte nämlich lange nicht so verbraucherfreundlich wie heute. Erst 2019, als die Kanzlei Goldenstein das erste Dieselskandal-Urteil vor einem Oberlandesgericht in Deutschland erwirkte, änderte sich die Sachlage diesbezüglich. Seitdem sprachen nahezu sämtliche Gerichte in Deutschland betroffenen VW-Haltern Entschädigungen zu. 

 

Richter fordert Verjährungsfrist von zehn Jahren 

Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Verjährungsfrist im Dieselskandal sogar zehn Jahre beträgt. Diese Auffassung vertreten einige deutsche Juristen, darunter ein Richter des Landgericht (LG) Marburg. Dieser verwies in diesem Jahr darauf, dass im Dieselskandal ein Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 BGB bestehe.  

Demnach müsse VW den durch die Manipulationen unrechtmäßig durchgesetzten finanziellen Vorteil an die betroffenen Kunden zurückerstatten. In diesem Fall sieht der Gesetzgeber eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vor. Das würde bedeuten, dass Verbraucher ihre Rechte noch einige Jahre erfolgreich gegen VW durchsetzen könnten. 

 

Verjährungsfrist könnte bald von vorn beginnen 

Darüber hinaus könnte der Dieselskandal noch in diesem Jahr quasi von vorn beginnen. Ende April 2020 hat die Generalanwaltschaft des Europäischen Gerichtshof (EuGH) nämlich in einem Schlussantrag verkündet, dass sämtliche Fahrzeugfunktionen als illegale Abschalteinrichtungen gelten, wenn diese im Realbetrieb zu einem höheren Abgasausstoß führen als auf dem Prüfstand.  

Zahlreiche Autobauer – darunter BMW, Mercedes-Benz und Volvo – haben Abschalteinrichtungen verbaut. Tests haben zudem ergeben, dass auch die manipulierten VW-Dieselfahrzeuge nach der Durchführung des verpflichtenden Software-Updates nur bei bestimmten Temperaturen tatsächlich sauber sind. 

Sollten die Richter des EuGH dieser Rechtsauffassung in ihrem baldigen Urteil folgen, würde dies unter anderem bedeuten, dass bei den Software-Updates sämtlicher VW-Fahrzeuge abermals mit illegalen Abschalteinrichtungen gearbeitet wurde. Die betroffenen Halter könnten ihre Entschädigungsansprüche dementsprechend problemlos gegen VW durchsetzen und die Verjährungsfrist würde erst wieder in frühestens drei Jahren greifen. 

 

So setzen sich die Entschädigungen zusammen 

In Deutschland setzt sich die jeweilige Entschädigungssumme im Abgasskandal aus dem ursprünglichen Kaufpreis des Fahrzeuges abzüglich einer Nutzungsentschädigung zusammen. Letztere ist abhängig von der individuellen Laufleistung des jeweiligen Fahrzeuges. Zudem werden den betroffenen Fahrzeughaltern Verzugszinsen in Höhe von aktuell 4,12 Prozent ab dem Zeitpunkt der Klage zugesprochen. 

  

Das sind die Verbraucherrechte im Abgasskandal 

Vom Abgasskandal betroffene Fahrzeughalter können die Auszahlung des vollständigen Kaufpreises ihres Fahrzeuges bei dem jeweiligen Hersteller geltend machen und ihr Auto dafür zurückgeben. Alternativ gibt es auch die Möglichkeit, das Fahrzeug weiter zu nutzen und einen Teil des Kaufpreises als Entschädigung zu erstreiten.

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