21.
Okt 2020

So funktionieren die Abschalteinrichtungen der Automobilindustrie

Zahlreiche Automobilhersteller haben illegale Abschalteinrichtungen in ihren Fahrzeugen verbaut. Dadurch gaben die betroffenen PKW in amtlichen Tests vor, sauber zu sein. Im tatsächlichen Straßengebrauch stießen die Fahrzeuge jedoch ein Vielfaches der erlaubten Schadstoffmengen aus. Allein in Deutschland wurden auf diesem Weg mehrere Millionen PKW-Käufer getäuscht, während die Automobilindustrie ihre Gewinne maximieren konnte. Doch wie funktionieren diese verschiedenen Abschalteinrichtungen eigentlich? 

Abschalteinrichtung bei Volkwagen: Manipulationssoftware als “Akustikfunktion” getarnt 

Die erste Abschalteinrichtung wurde 2014 in den USA entdeckt. Dort bewarb Volkswagen seine neuen Dieselfahrzeuge mit dem EA 189-Motor in zahlreichen Werbeclips als besonders sauber. Dies wurde durch offizielle Prüfungen bestätigt. Davon unabhängige Tests an der West Virginia University legten jedoch nahe, dass diese von VW als “Clean Diesel” betitelten Autos in Wahrheit doch nicht so “clean” waren. 

Tatsächlich hatte Volkswagen den Schadstoffausstoß der eigenen PKW mittels einer Software in der Motorensteuerung manipuliert. Diese war unter dem Namen Akustikfunktion getarnt, hatte jedoch überhaupt nichts mit hörbarem Schall zu tun. Stattdessen erkannte die Software, wenn sich ein Fahrzeug auf dem Prüfstand befand, weil das Lenkrad währenddessen stillstand. In diesem Fall  wurde der Schadstoffausstoß massiv reduziert.  

 

Volkswagen musste weltweit elf Millionen Fahrzeuge zurückrufen 

Im tatsächlichen Straßenbetrieb – wenn das Lenkrad verwendet wurde –  war der Schadstoffausstoß hingegen deutlich höher. Nachdem der Skandal Ende 2015 endgültig öffentlich wurde, musste VW weltweit mehr als elf Millionen Fahrzeuge zurückrufen und mit einem neuen Software-Update ausstatten. Allein in Deutschland waren rund 2,4 Millionen Fahrzeuge davon betroffen. Im Mai 2020 erwirkte die Kanzlei Goldenstein ein Grundsatzurteil am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, wonach all diesen Haltern Schadensersatz zusteht. 

 

Weitere Manipulationen bei VW? 

Mittlerweile steht auch der Nachfolgemotor des VW-Skandalmotors EA 189 – der EA 288-Motor –unter Manipulationsverdacht. So sollen die Bordcomputer der Fahrzeuge mit diesem Motor dahingehend manipuliert worden sein, dass diese eine Fehlfunktion der Abgasreinigung nicht korrekt anzeigen.  

Dadurch steigt der Abgasausstoß enorm an, wodurch die Fahrzeuge die vorgeschriebenen EU-Grenzwerten nicht länger einhalten. Die ARD Tagesschau berichtete, dass interne Dokumente des Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) eindeutig belegen, dass die Bordcomputer selbst bei einem unerlaubt hohen Stickoxide-Ausstoß keinen Fehler melden würde. Auch der EA 897-Motor, der überwiegend bei Oberklasse-Fahrzeugen eingesetzt wird, soll manipuliert worden sein. Mehrere deutsche Gerichte beurteilten die Abschalteinrichtungen dieser Motoren bereits als illegal. 

Interessant ist zudem, dass auch das Software-Update von VW die betroffenen Fahrzeuge möglicherweise nicht so sauber macht, wie es behauptet wird. Eine ARD-Recherche aus dem Jahr 2019 legt nahe, dass Volkswagen auch dabei eine Abschalteinrichtung eingesetzt hat. Demnach würden die Updates nur bei Temperaturen zwischen 15 und 33 Grad zu einem geringeren Schadstoffausstoß führen. Dies hat zur Folge, dass die Fahrzeuge bei niedrigen und besonders hohen Temperaturen teilweise noch mehr Schadstoffe ausstoßen als vor dem Update. 

 

Thermofenster: Auch Mercedes- und Volvo-Fahrzeuge betroffen 

Eine solche Abschalteinrichtung wird in Fachkreisen als Thermofenster bezeichnet. Neben Volkswagen kam diese Art der Abschalteinrichtung unter anderem auch bei Daimler- und Volvo-Modellen zum Einsatz. So stellte die Deutsche Umwelthilfe beispielsweise fest, dass der Volvo XC60 der Schadstoffklasse Euro 5 bei Temperaturen zwischen 0 und -4 Grad zwölfmal mehr Stickoxide ausstieß, als es eigentlich erlaubt ist. Die Hersteller selbst rechtfertigen den Einbau des Thermofensters als eine notwendige Maßnahme zum Motorenschutz.  

 

EuGH-Urteil zur Legalität von Abschalteinrichtungen wird erwartet 

Tatsächlich ist eine Abschalteinrichtung dann legal, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Experten bezweifeln jedoch, dass dies hier der Fall ist.  

Ende April hat die Generalanwaltschaft des Europäischen Gerichtshof (EuGH) jedoch in einem Schlussantrag verkündet, dass sämtliche Fahrzeugfunktionen als illegale Abschalteinrichtungen gelten, wenn diese im Realbetrieb zu einem höheren Abgasausstoß führen als auf dem Prüfstand. 

Das Autobauer-Argument, dass diese Einrichtungen dem Motorschutz dienen, ließ die Generalanwältin nicht gelten. Sollten die Richter des EuGH dieser Argumentation in ihrem baldigen Urteil folgen, drohen der gesamten Automobilindustrie zahlreiche Rückrufaktionen. Bislang hat der EuGH die Urteilsverkündung in dieser Sache jedoch noch nicht terminiert. 

 

Dieselskandal bei BMW: Die Hardware ist schuld 

Generell haben die Autobauer ihre Fahrzeuge jedoch nicht nur über die jeweilige Software manipuliert. Ein Gutachten belegte beispielsweise, dass der BMW 750d xDrive, der bereits offiziell zurückgerufen wurde, aufgrund seiner Hardware umweltschädlich war.  

So kann der Stickoxid-Speicherkatalysator des Fahrzeugs das gefährliche Gas bei einem Kaltstart und entspannter Fahrweise noch gut speichern. Auf dem Prüfstand fahren die Fahrzeuge im Schnitt mit Geschwindigkeiten von 34,7 km/h. Bei dieser Geschwindigkeit kann das Auto den eigenen Stickoxid-Ausstoß noch vergleichsweise gut begrenzen. Dadurch wurden die PKW auch problemlos zugelassen. 

Bei höherer Motorleistung funktioniert der Katalysator jedoch nicht mehr wie geplant, da er dann aufgrund seiner Einbaulage mit Temperaturen von bis zu 500 Grad Celsius konfrontiert wird. Dadurch kommt es zu einem stark erhöhten Ausstoß von Stickoxiden. Gleichzeitig verursachen die hohen Temperaturen, denen der Katalysator ausgesetzt ist, aber auch Langzeitschäden. Demnach soll die Schadstoffreduzierung teilweise bereits bei einer Laufleistung von weniger als 60.000 Kilometern komplett versagen. 

 

Schadensersatzansprüche bei PKW-Manipulationen 

Wenn ein Fahrzeug die geltenden Umweltrichtlinien nicht einhält, ist das illegal. Erfüllt ein PKW diese Kriterien auf dem Prüfstand, im tatsächlichen Straßengebrauch jedoch nicht, dann ist das eine Täuschungshandlung. Dabei spielt es keine Rolle, ob dies an der Hard- oder der Software liegt”, sagt der Rechtsanwalt Claus Goldenstein. Er ergänzt: 

Die Halter der betroffenen Fahrzeuge sind davon ausgegangen, dass ihre Autos umweltfreundlich sind. Dies war nicht der Fall. Zudem haben alle Dieselfahrzeuge nach dem Bekanntwerden dieses Skandals massiv an Wert verloren und sind teilweise von Fahrverboten in deutschen Städten betroffen.  

Deshalb haben die Fahrzeughalter von manipulierten PKW die Möglichkeit, einen angemessenen Schadensersatz von dem jeweiligen Hersteller einzufordern und ihr Fahrzeug zurückzugeben. Wir von der Kanzlei Goldenstein unterstützen bereits mehr als 22.000 Mandanten bei diesem Vorgehen. Gern beraten wir auch betroffene PKW-Besitzer bezüglich ihrer rechtlichen Möglichkeiten.” 

 

Diese Rechte haben betroffene Fahrzeughalter 

Vom Abgasskandal betroffene Fahrzeughalter können die Auszahlung des vollständigen Kaufpreises ihres Fahrzeuges bei dem jeweiligen Hersteller geltend machen und ihr Auto dafür zurückgeben. Alternativ gibt es auch die Möglichkeit, das Fahrzeug weiter zu nutzen und einen Teil des Kaufpreises als Entschädigung zu erstreiten. 

Prüfen Sie jetzt Ihren Anspruch: