24.
Nov 2023

Vor BGH-Verhandlung zum Wohnmobil-Abgasskandal: Die wichtigsten Fragen und Antworten

Am Montag werden sich die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) erstmals mit Schadensersatzansprüchen im Wohnmobil-Abgasskandal auseinandersetzen. Von einer verbraucherfreundlichen Entscheidung könnten mehr als 100.000 Fahrzeughalter in Deutschland profitieren. Der Rechtsanwalt Claus Goldenstein beantwortet nachfolgend die wichtigsten Fragen zum Thema. Goldensteins gleichnamige Kanzlei vertritt über 65.000 Mandanten im Abgasskandal und ist in der Sache unter anderem für das erste verbraucherfreundliche BGH-Urteil verantwortlich.

Worum geht es in dem Verfahren?

In dem BGH-Verfahren geht es um ein Wohnmobil der Marke Sunlight, das auf Basis eines Fiat Ducato gebaut und unter der Umweltnorm Euro 6 zugelassen wurde. Der Kläger hatte das Diesel-Fahrzeug im April 2018 für 52.300 Euro gekauft und weitere 5.483,03 Euro für die Finanzierung des Fahrzeugs aufgewendet.

Im Sommer 2020 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Frankfurt nach mehreren Razzien in Geschäftsgebäuden von Fiat eine Pressemitteilung, in der die Frankfurter Ermittler über illegale Abschalteinrichtungen in mehr als 200.000 Fiat-Fahrzeugen in Deutschland berichteten. Die betroffenen Fahrzeuge wurden so manipuliert, dass diese nur während amtlicher Abgastests sauber wirken, im Normalbetrieb jedoch unerlaubt viele Schadstoffe ausstoßen. Dass es sich bei einer Vielzahl der illegal manipulierten Fiat-Fahrzeuge um Wohnmobile handelt, liegt daran, dass der Fiat Ducato bei etwa zwei Dritteln aller Wohnmobile als Basismodell genutzt wird. So setzt fast jeder namhafte Wohnmobil-Hersteller auf den Fiat Ducato.

Als der Kläger erfuhr, dass auch die Abgasreinigung seines Wohnmobils illegal manipuliert wurde, ging er juristisch gegen Fiat bzw. dessen Mutterkonzern Stellantis vor und forderte Schadensersatz. Mit dieser Klage scheiterte der Mann im Jahr 2022 am Landgericht (LG) Bayreuth und dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg. Im März dieses Jahres senkten die Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) allerdings die Hürden für erfolgreiche Schadensersatzklagen im Abgasskandal und entschieden, dass Schadenersatzansprüche im Abgasskandal selbst bei einer fahrlässigen Schädigung bestehen. Die BGH-Richter müssen nun prüfen, welche Folgen sich daraus für den Wohnmobil-Abgasskandal ergeben.

Wie wurden die betroffenen Wohnmobile manipuliert?

Unabhängige Abgastests im Realbetrieb belegen einerseits, dass Wohnmobile mit Ducato-Basis die Abgasreinigung bei Außentemperaturen unterhalb von 20 Grad sukzessive verringern. Andererseits hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bei Messungen auf dem Prüfstand festgestellt, dass auch eine zeitabhängige Reduzierung bzw. Abschaltung der Abgasreinigung erfolgt, die etwa 22 Minuten nach dem Start des Motors einsetzt. Im Rahmen von Verfahren, die wir von Goldenstein Rechtsanwälte führen, hat Fiat die Verwendung von zeit- und temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen zwischenzeitlich schriftlich eingeräumt.

Da amtliche Abgastests im Normalfall bei Temperaturen zwischen 20 und 30 Grad durchgeführt werden und nur etwa 20 Minuten andauern, erhielten die manipulierten Fahrzeuge trotz dieser illegalen Abschalteinrichtungen die Typgenehmigung. Fiat konnte durch diesen Betrug auf den teuren Einbau einer dauerhaft effizienten Abgasreinigung verzichten und die eigenen Margen optimieren.

Wann wird eine Entscheidung erwartet?

Es ist möglich, dass die verantwortlichen Richter noch am Montag ein Urteil in der Sache verkünden. Denkbar ist aber auch, dass die Entscheidung erst mehrere Tage oder Wochen nach der mündlichen Verhandlung verkündet wird.

Welche Entscheidung wird erwartet?

Obwohl die Klage in den Vorinstanzen keinen Erfolg hatte, stehen die Erfolgschancen des Klägers gut. Als die Klage am zuständigen Land- bzw. Oberlandesgericht verhandelt wurde, vertraten die BGH-Richter nämlich noch die Auffassung, dass Schadensersatzansprüche im Abgasskandal ausschließlich bei einer sittenwidrigen Schädigung durch den verantwortlichen Hersteller bestünden.

Nachdem im Frühjahr 2023 am Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden wurde, dass entsprechende Entschädigungsansprüche selbst bei einer fahrlässigen Schädigung bestehen, veränderten auch die BGH-Richter ihre Rechtsauffassung im Juni 2023. Damals entschieden Deutschlands oberste Zivilrichter, dass bei einer fahrlässigen Schädigung im Abgasskandal sogenannte Differenzschadensersatzansprüche bestehen. Dadurch können betroffene Fahrzeughalter bei einer fahrlässigen Schädigung eine Entschädigung in Höhe von 5 bis 15 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises erhalten und ihr Fahrzeug behalten.

Seit der Verkündung dieser BGH-Entscheidung zeichnet sich auch im Wohnmobil-Abgasskandal eine Trendwende ab. Während zuvor nur vereinzelt verbraucherfreundliche Entscheidungen in der Sache an deutschen Land- und Oberlandesgerichten verkündet wurden, erwirken wir von Goldenstein Rechtsanwälte seitdem quasi wöchentlich positive Urteile im Wohnmobil-Abgasskandal, darunter das erste rechtskräftige OLG-Urteil in der Sache. Unserem Mandanten wurde im Rahmen dieser Entscheidung eine Entschädigung in Höhe von 10 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises seines Wohnmobils zugesprochen.

Es ist wahrscheinlich, dass auch die Richter am Bundesgerichtshof am Montag eine ähnliche Entscheidung verkünden und dem Kläger Schadensersatz zusprechen. Denkbar ist aber auch, dass das Verfahren zunächst an das zuständige Oberlandesgericht zurückverwiesen wird, damit die dort verkündete Entscheidung aus dem Vorjahr noch einmal überdacht wird. Auch das wäre ein positives Signal für betroffene Fahrzeughalter. Dass die Klage am BGH keinen Erfolg hat, ist hingegen unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

Welche Auswirkungen hat die Entscheidung der BGH-Richter?

Die Entscheidung wird deutschlandweit mehr als 100.000 Wohnmobil-Besitzern zu Rechtssicherheit verhelfen. Sollten die BGH-Richter eine verbraucherfreundliche Entscheidung verkünden, käme diese zudem zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt. Da die Staatsanwaltschaft Frankfurt die Öffentlichkeit im Jahr 2020 im Rahmen einer Pressemitteilung ziemlich eindeutig über die Manipulationen von Fiat informierte, könnten zivilrechtliche Ansprüche in der Sache nämlich bereits am 01. Januar 2024 verjähren.

Das würde bedeuten, dass betroffene Fahrzeughalter lediglich bis zum 31. Dezember 2023 um 23:59 Uhr Schadensersatzansprüche in der Sache geltend machen, ohne eine Verjährung zu riskieren. Das ist insofern relevant, da Zehntausende betroffene Wohnmobil-Besitzer ihre Rechtsansprüche in der Sache bislang noch nicht geltend gemacht haben und dies nach einer Verjährung auch nicht mehr könnten.

Demgegenüber steht zwar die Tatsache, dass amtliche Rückrufe in der Sache momentan noch immer in der Schwebe sind und viele betroffene PKW-Besitzer dadurch noch gar nichts von den Manipulationen ihres Wohnmobils wissen. Doch auch, wer erst durch das BGH-Verfahren von der möglichen Manipulation des eigenen Fahrzeugs erfährt und auf Nummer sicher gehen möchte, sollte sich schnellstmöglich nach der Urteilsverkündung rechtlich beraten lassen, um eine drohende Verjährung der eigenen Ansprüche zu verhindern.

Obwohl amtliche Rückrufe in der Sache noch ausstehen, lässt sich dank unabhängiger Abgastests mittlerweile sehr genau feststellen, welche Wohnmobile illegal manipuliert wurden und welche nicht. Grundsätzlich stehen sämtliche Wohnmobile, die einen Diesel-Motor enthalten, auf Basis eines Fiat Ducato gebaut und zwischen 2014 und 2020 erstmals zugelassen wurden, unter erhärtetem Manipulationsverdacht.

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