23.
Jun 2023

Dieselskandal: Alle Fragen und Antworten zu wegweisender BGH-Urteilsverkündung

Am Montag werden die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) drei wegweisende Entscheidungen im Abgasskandal verkünden. Dadurch könnten die Hürden im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in der Sache enorm gesenkt werden. Der Rechtsanwalt Claus Goldenstein beantwortet nachfolgend die wichtigsten Fragen zum Thema. Goldensteins gleichnamige Kanzlei vertritt mehr als 50.000 Verbraucher im Abgasskandal und ist in der Sache unter anderem für das erste verbraucherfreundliche BGH-Urteil verantwortlich.

Worüber entscheiden die BGH-Richter am Montag?

Die BGH-Richter haben sich in den vergangenen Wochen mit drei unterschiedlichen Klagen von Diesel-Fahrern befasst. Die Kläger fordern allesamt wegen des Abgasskandals Schadensersatz von dem jeweiligen Hersteller ihres Fahrzeugs. Unter anderem geht es um die Klage eines Mannes, der einen VW Passat mit einem Diesel-Motor des Typs EA288 besitzt. Obwohl das Fahrzeug nicht durch das Kraftfahrt-Bundesamt zurückgerufen wurde, ergaben unabhängige Abgastests, dass PKW-Modelle mit dem EA288-Motor im Normalbetrieb unerlaubt viele Schadstoffe ausstoßen.

In einem weiteren Verfahren geht es um die Klage eines Audi-Besitzers, der seinen SQ5 mit einem von Audi entwickelten Diesel-Motor kaufte, nachdem die Manipulation des Fahrzeugs bereits öffentlich bekannt war. Darüber hinaus müssen die BGH-Richter klären, ob der Besitzer einer Mercedes-Benz C-Klasse mit einem OM651-Dieselmotor Anspruch auf Schadensersatz hat. Alle drei Kläger möchten ihre Kauf- und Finanzierungsverträge rückabwickeln und so gestellt werden, als hätten sie das jeweilige Fahrzeug nie gekauft.

Weshalb sind die Entscheidungen so wichtig?

In der Vergangenheit haben die BGH-Richter bereits entschieden, dass die Halter von illegal manipulierten Fahrzeugen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn sie auf sittenwidrige bzw. vorsätzliche Weise geschädigt wurden. Bei einer fahrlässigen Schädigung bestehen laut der bisherigen Rechtsprechung von Deutschlands obersten Zivilrichtern hingegen keine Entschädigungsansprüche.

Die größte Hürde vieler Diesel-Klagen bestand daher bislang darin, die Vorsätzlichkeit der Schädigung zu belegen. Dies ist beispielweise möglich, wenn nachvollzogen werden kann, dass Führungskräfte des jeweiligen Herstellers die Manipulationen angeordnet oder mindestens wissentlich geduldet haben. Dass dies wohl bei allen verantwortlichen Autobauern der Fall war, liegt auf der Hand. Eindeutige Belege hierfür sind der Öffentlichkeit aber nicht immer zugänglich und erschweren auch die Rechtsdurchsetzung der drei Kläger.

Am Europäischen Gerichtshof (EuGH) wurde allerdings im März entschieden, dass die europäischen Normen, die illegale Abschalteinrichtungen zur Abgasmanipulation verbieten, auch die einzelnen Käufer der manipulierten Fahrzeuge schützen. Daraus folgt, dass betroffene Fahrzeughalter Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn ihnen wegen des Abgasskandals ein Schaden entstanden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Schädigung auf sittenwidrige oder fahrlässige Weise erfolgte. Die BGH-Richter werden nun bekanntgeben, wie sie diese Entscheidung in die deutsche Rechtsprechung übertragen.

Welche Entscheidung wird erwartet?

Bereits im Laufe der mündlichen Verhandlung zu den drei Verfahren ließ die Vorsitzende Richterin durchblicken, dass die Halter von illegal manipulierten Fahrzeugen künftig wohl auch bei fahrlässiger Schädigung Schadensersatzansprüche durchsetzen können. Allerdings wird es in dem Fall wohl nicht möglich sein, das eigene Fahrzeug an den jeweiligen Hersteller zurückzugeben. Stattdessen können betroffene Fahrzeughalter vermutlich eine einmalige finanzielle Entschädigung durchsetzen, wenn sie ihr manipuliertes Auto im Gegenzug behalten.

Die Berechnungsgrundlage für die Höhe einer solchen Entschädigung werden die verantwortlichen Richter mit hoher Wahrscheinlichkeit am Montag verkünden und damit sämtlichen deutschen Zivilgerichten Leitlinien für zukünftige Entscheidungen im Dieselskandal vorgeben. Es wird davon ausgegangen, dass dafür ein sogenannter mittlerer Schadensersatz geschaffen wird. Auch dies zeichnete sich bereits in den mündlichen Verhandlungen im Mai ab.

Im Rahmen des großen Schadensersatzes haben Diesel-Halter bislang die Möglichkeit, ihr Fahrzeug an den verantwortlichen Hersteller zurückzugeben und den ursprünglichen Kaufpreis abzüglich einer sogenannten Nutzungsentschädigung zurückzubekommen. Im Rahmen des kleinen Schadensersatzes können betroffene PKW-Besitzer ihr Fahrzeug behalten und einen kleinen Teil des ursprünglichen Kaufpreises zurückbekommen. So erhielten die Teilnehmer der Musterfeststellungsklage gegen VW beispielsweise 15 Prozent des Kaufpreises als Entschädigung. Einzelkläger können auf diesem Weg im Normalfall ungefähr 20 Prozent ihres Kaufpreises als Entschädigung durchsetzen.

Wenn der mittlere Schadensersatz seinem Namen gerecht werden soll, müssten betroffene Fahrzeughalter dadurch also mehr als 20 Prozent ihres ursprünglich gezahlten Kaufpreises in Form einer finanziellen Entschädigung erhalten. Eine solche Summe würde betroffene Fahrzeughalter angemessen entschädigen und bei den verantwortlichen Herstellern dafür sorgen, dass diese in der Zukunft keine Abschalteinrichtungen mehr verbauen.

Dass alle drei Kläger bereits am Montag Schadensersatz zugesprochen bekommen, ist allerdings keineswegs sicher. Da sich die zuständigen Gerichte in den Vorinstanzen möglicherweise nicht ausreichend mit den vorhandenen Abschalteinrichtungen in dem VW Passat und der Mercedes-Benz C-Klasse befasst haben, könnten diese Verfahren noch einmal an die jeweils zuständigen Oberlandesgerichte zurückverwiesen werden. Das wäre allerdings keine Entscheidung zugunsten der verantwortlichen Hersteller, sondern würde einfach dafür sorgen, dass die Fälle fachlich korrekt aufgearbeitet werden.

Welche Auswirkung hat ein verbraucherfreundliches Urteil?

Sollten Schadenersatzansprüche im Abgasskandal künftig auch bei einer fahrlässigen Schädigung durchsetzbar sein, würde das die Erfolgsaussichten von entsprechenden Klagen noch einmal enorm erhöhen. Dadurch hätte im Prinzip jeder Besitzer eines Fahrzeugs mit einer illegalen Abschalteinrichtung Anspruch auf Schadensersatz, sofern die bestehenden Rechte noch nicht verjährt sind. Das dürfte allein in Deutschland noch immer auf Hunderttausende PKW-Besitzer zutreffen und diese Zahl wird in den kommenden Monaten höchstwahrscheinlich sogar noch einmal ansteigen.

Aktuell geht die Deutsche Umwelthilfe nämlich juristisch gegen mehr als 100 Genehmigungen des Kraftfahrt-Bundesamtes vor und fordert in all diesen Fällen den Rückruf von Diesel-Fahrzeugen wegen des Abgasskandals. Allein in Deutschland betreffen die Klagen der Deutschen Umwelthilfe mehrere Millionen Fahrzeuge. Bereits im Februar konnte die Umwelt-Organisation diesbezüglich einen ersten Etappensieg feiern, als das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht das VW Software-Update, mit dem die Abgasreinigung von illegal manipulierten Fahrzeugen normalisiert werden sollte, als unzulässig bewertete.

VW ging zwar gegen das Urteil in Berufung. Doch ganz sicher scheint sich der Wolfsburger Konzern nicht zu sein, dass das Update tatsächlich die gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Neuerdings müssen Gebrauchtwagenhändler von VW-Fahrzeugen, die das Update enthalten, ihren Kunden nämlich eine Kundeninformation vorlegen, auf der VW auf die vorhandene Abschalteinrichtung hinweist. In dem Schreiben gibt VW zudem an, dass die betroffenen Fahrzeuge möglicherweise Wertverluste erleiden oder sogar stillgelegt werden könnten. Wer die Kundeninformation nicht unterzeichnet, soll sein Fahrzeug nicht erhalten. VW fürchtet offensichtlich, im Zuge des anstehenden BGH-Urteils in Verbindung mit den Klagen der Deutschen Umwelthilfe eine erneute Klagewelle und möchte sich auf diese Weise absichern.

Auf eine mögliche Klagewelle bereitete auch der der Vorsitzende Richter am Stuttgarter Landgericht seine Kollegen bereits in einem Schriftverkehr vor, seit sich das verbraucherfreundliche Urteil zur fahrlässigen Schädigung am Europäischen Gerichtshof anbahnte. Auch wir von Goldenstein Rechtsanwälte gehen davon aus, dass nach dem BGH-Urteil am Montag noch einmal Hunderttausende Verbraucher ihre Ansprüche im Abgasskandal durchsetzen werden. Denkbar ist, dass selbst zahlreiche Kläger aus dem EU-Ausland Entschädigungen aufgrund der Rechtssicherheit hierzulande geltend machen. Dies ist möglich, wenn die beklagte Partei ihren Hauptsitz in Deutschland hat. Das trifft beispielsweise auf Volkswagen, Mercedes-Benz, Opel, Porsche, BMW oder Audi zu. Vermutlich wird die gesamte Automobilindustrie ab Montag noch einmal vom Abgasskandal eingeholt.

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