22.
Jul 2022

Stuttgarter Richter sieht Diesel-Klagen gegen Mercedes als erfolgsversprechend

Der Vorsitzende Richter am Stuttgarter Landgericht (LG) bewertet die Erfolgsaussichten von Diesel-Klagen gegen Mercedes aktuell mit Blick auf zwei relevante Urteile am Europäischen Gerichtshof (EuGH) als sehr positiv. In einem internen Schreiben, das der WirtschaftsWoche vorliegt, warnt der Jurist seine Kollegen am LG Stuttgart aufgrund der verbraucherfreundlichen Lage vor einer Klagewelle. Tatsächlich könnten Hunderttausende Halter von manipulierten Mercedes-Fahrzeugen gegen den Stuttgarter Autobauer vorgehen.

EuGH bewertet Thermofenster als illegal – Schadensersatz auch bei fahrlässiger Schädigung

In der vergangenen Woche hat der EuGH sogenannte Thermofenster in Diesel-PKWs als illegal bewertet. Das sind Abschalteinrichtungen, die die Abgasreinigung von entsprechenden Fahrzeugen bei bestimmten Außentemperaturen herunterfahren. Auch einige Mercedes-Modelle enthalten entsprechende Thermofenster und stoßen deshalb bei Temperaturen in Höhe von weniger als 15 bzw. mehr als 30 Grad oftmals unerlaubt viele Schadstoffe aus.

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat deshalb allein in Deutschland mehr als 500.000 Mercedes-Fahrzeuge zurückgerufen. Bis zuletzt war jedoch unklar, ob betroffene Fahrzeughalter allein wegen des Thermofensters Anspruch auf Schadensersatz haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) bewertete den Einbau von temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen in der Vergangenheit nämlich als fahrlässige Schädigung und sah deshalb keinen Entschädigungsanspruch.

Die Generalanwaltschaft am Europäischen Gerichtshof widersprach dieser Rechtsauffassung jedoch in einem Schlussantrag im Juni. Sollten die zuständigen Richter dieser Rechtsauffassung in ihrem baldigen Urteil folgen, wovon auszugehen ist, hätten sämtliche betroffene Fahrzeughalter auch bei fahrlässiger Schädigung Anspruch auf Schadensersatz. Dadurch würden auch die Halter von manipulierten Mercedes-Fahrzeugen endgültig Rechtssicherheit genießen, wenn es um entsprechende Entschädigungsansprüche geht. Das sieht auch das Landgericht Stuttgart so.

PKW-Halter aus ganz Europa können in Stuttgart gegen Mercedes klagen

Für Verbraucher sind die Aussagen des Stuttgarter Richters insofern relevant, da der Richter seine Kollegen im Prinzip auf verbraucherfreundliche Entscheidungen bei Diesel-Verfahren gegen Mercedes einschwört. Das ist in Bezug auf Mercedes-Benz auch deshalb spannend, weil betroffene PKW-Halter in ganz Europa ihre Rechtsansprüche in der Sache am eigenen Wohnort oder dem Gerichtsstand der beklagten Partei geltend machen können. Letzterer befindet sich im Fall von Mercedes am Landgericht Stuttgart.

Wenn der Vorsitzende Richter am LG Stuttgart also von einer zukünftigen Klagewelle an seinem Gericht ausgeht, könnte er damit Recht behalten. Nicht nur deutsche PKW-Halter würden von der Rechtsprechung in Stuttgart profitieren, sondern auch PKW-Besitzer aus Ländern, in denen es bislang noch kaum relevante zivilrechtliche Grundsatzurteile zum Abgasskandal gibt – zum Beispiel Österreich.

Für betroffene Fahrzeughalter gilt: Wer sich jetzt bereits über die rechtlichen Möglichkeiten in der Sache informiert, kann seine Rechtsansprüche vermutlich besonders schnell durchsetzen. Im Falle einer Klagewelle gegen Mercedes könnte es nämlich auch zu einer “Verstopfung” der Gerichte und somit längeren Wartezeiten auf Verhandlungstermine kommen.

Diese Modelle sind vom Mercedes-Abgasskandal betroffen

Der Mercedes-Abgasskandal betrifft zahlreiche Diesel-Varianten, die der Stuttgarter Autobauer zwischen 2008 und 2018 gebaut und mit Motoren der Typen OM607, OM622, OM626, OM640, OM642 und OM651 ausgestattet hat. Dies trifft auf die A-, B-, C-, E,- G-, R-, S- und V-Klasse sowie die Modellreihen CLA, CLS, GLC, GLE, GLK, GLE, ML, Sprinter Vito und Viano zu.

Mercedes hat die betroffenen Motoren mit Abschalteinrichtungen ausgestattet, die unter anderem die Wirksamkeit des Stickoxid-Nachbehandlungssystems (SCR-Katalysator) sowie die Wirksamkeit der Abgas-Rückführung (AGR) der betroffenen PKW beeinflussen. Auch temperaturgesteuerte Abschalteinrichtungen – sogenannte Thermofenster – kamen bei dem Stuttgarter Autobauer zum Einsatz.

Abgasskandal: Die bestehenden Rechtsansprüche

Der Abgasskandal hat nicht zuletzt zu hohen Wertverlusten und unvorhersehbaren Folgeschäden von illegal manipulierten Fahrzeugen geführt. Unter anderem deshalb können betroffene Verbraucher Schadensersatzansprüche in der Sache geltend machen.

Die Halter von illegal manipulierten Fahrzeugen haben grundsätzlich die Möglichkeit, ihr Auto an den verantwortlichen Hersteller zurückzugeben. Im Gegenzug winkt eine finanzielle Entschädigung, die sich an dem ursprünglichen Kaufpreis orientiert. Alternativ ist es auch möglich, das manipulierte Fahrzeug zu behalten und eine Entschädigung in Höhe eines Teils des Kaufpreises durchzusetzen. Dadurch soll der Wertverlust, der durch den Abgasskandal entstanden ist, kompensiert werden.

Abgasskandal-Klagen sind in vielen Fällen ohne finanzielles Risiko möglich. Wer nicht rechtsschutzversichert ist, kann in der Regel auf die Dienste eines Prozesskostenfinanzierers zugreifen. Dieser übernimmt die vollen Verfahrenskosten und bezieht lediglich im Erfolgsfall einer Klage eine vorab definierte Provision.

Prüfen Sie jetzt Ihren Anspruch: