29.
Nov 2021

Nach EuGH-Schlussantrag zum Thermofenster: Wie geht es weiter?

Das sogenannte Thermofenster wird im Zusammenhang mit dem Abgasskandal heiß diskutiert. Nachdem sich die Richter am deutschen Bundesgerichtshof (BGH) mehrfach dahingehend positionierten, dass der Einbau von temperaturgesteurten Abschalteinrichtungen in Diesel-Fahrzeugen nicht sittenwidrig sei, verkündete die Generalanwaltschaft des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vor knapp zwei Monaten: Thermofenster sind illegal. Was bedeutet das nun für betroffene Verbraucher und wie geht es in der Sache weiter?

Was ist überhaupt ein Thermofenster?

Hinter der Begrifflichkeit Thermofenster verbirgt sich eine Abschalteinrichtung, die dafür sorgt, dass Diesel-Fahrzeuge nur bei bestimmten Temperaturen wirklich sauber sind. Innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters (meist ungefähr 15-30 Grad Celsius) laufen die verbauten Motoren in einem umweltfreundlichen Modus und emittieren nur wenige Schadstoffe.

Außerhalb dieses Temperaturfensters stoßen die manipulierten PKW jedoch ein Vielfaches der zulässigen Schadstoffmengen aus. Insbesondere bei niedrigen Temperaturen werden Fahrzeuge mit verbauten Temperaturfenstern zu absoluten Umweltsündern und überschreiten vor allem die vorgeschriebenen Stickoxid-Grenzwerte.

Namhafte Autobauer wie Daimler, Volvo oder Fiat haben in ihren Fahrzeugen auf Thermofenster gesetzt. Selbst das VW Software-Update, das die Abgasreinigung von illegal manipulierten Fahrzeugen eigentlich normalisieren sollte, enthält ein solches Thermofenster.

Thermofenster als Motorschutz? Generalanwalt widerspricht!

Die Automobilherstellern rechtfertigen die Nutzung des Thermofensters mit der Begründung, dass der Motor der betroffenen Fahrzeuge dadurch bei besonders extremen Temperaturen geschützt wird. Tatsächlich erlaubt die EU-Gesetzgebung die Nutzung von Abschalteinrichtungen nämlich unter anderem zum Schutz des Motors.

Allerdings verkündeten die EuGH-Richter bereits im Dezember 2020 im Rahmen eines Abgasskandal-Urteils, dass diese Ausnahmeregelung nur dann greife, wenn der Motor des Fahrzeugs ansonsten unmittelbare Schäden erleiden würde. Sollten Abschalteinrichtungen verbaut werden, um den normalen Verschleiß des Motors zu minimieren, ist das dennoch illegal. Genau das ist aber bei dem Einsatz von Thermofenstern der Fall.

Der EuGH-Generalanwalt, Athanasios Rantos, argumentierte zudem kürzlich in einem Schlussantrag zum Thema, dass solche Abschalteinrichtungen nur in absoluten Ausnahmesituationen verwendet werden dürfen. Da die Temperaturen in Europa jedoch nur in extrem wenigen Monaten im Schnitt zwischen 15 und 30 Grad liegen, emittieren Fahrzeuge mit verbauten Thermofenstern in einigen Ländern fast das gesamte Jahr lang unerlaubt viele Schadstoffe. Deshalb hält Ramos Thermofenster für eindeutig illegal.

EuGH-Richter klären Zulässigkeit von Thermofenstern bald abschließend

Der Schlussantrag der EuGH-Generalanwaltschaft hat zunächst keine rechtlichen Konsequenzen. Nun müssen sich die verantwortlichen EuGH-Richter beraten, ob sie sich der Meinung des Staatsanwaltes anschließen und einen Termin für ihre Urteilsverkündung finden. Grundsätzlich gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die EuGH-Richter der Rechtsauffassung von Athanasios Rantos folgen, denn das ist in etwa 90 Prozent der Fälle so.

Sollte das auch bei diesem Fall so sein, hätte dies enorme Folgen für die gesamte Automobilindustrie. Noch immer sind nämlich allein in Deutschland mehrere Millionen Fahrzeuge mit eingebauten Thermofenstern unterwegs. All diese Fahrzeuge müssten nach einem Urteil zurückgerufen werden. Den betroffenen PKW-Haltern droht dann im schlimmsten Fall die Stilllegung ihrer Autos. Ihre Software müsste in jedem Fall so angepasst werden, dass die Fahrzeuge die vorgeschriebenen Schadstoffwerte nicht mehr überschreiten.

Betroffene Verbraucher sollten sich rechtlich beraten lassen

Die Besitzer von Diesel-Fahrzeugen sollten die Lage insofern aufmerksam beobachten und sich rechtzeitig bezüglich ihrer rechtlichen Möglichkeiten in der Sache informieren. Der Abgasskandal hat nämlich unter anderem dazu geführt, dass die Nachfrage nach Diesel-Fahrzeugen gesunken ist. Insbesondere nachweislich manipulierte PKW-Modelle erzielen deshalb auf dem Gebrauchtwagenmarkt deutlich geringere Preise als Autos, die nicht manipuliert wurden.

Betroffene Verbraucher haben unter anderem deshalb die Möglichkeit, den Fahrzeughersteller juristisch zur Rücknahme des manipulierten Autos zu bringen, um im Gegenzug eine Entschädigung zu erhalten, die sich an dem ursprünglichen Kaufpreis orientiert. Alternativ besteht zudem die Option, das eigene Fahrzeug zu behalten und eine Entschädigung in Höhe von etwa 20 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises zu erhalten. Dadurch soll der Wertverlust, der durch den Abgasskandal entstand, ausgeglichen werden.

Abgasskandal-Klagen sind in vielen Fällen ohne finanzielles Risiko möglich. Wer nicht rechtsschutzversichert ist, kann in der Regel auf die Dienste eines Prozesskostenfinanzierers zugreifen. Dieser übernimmt die vollen Verfahrenskosten und bezieht lediglich im Erfolgsfall einer Klage eine vorab definierte Provision.

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